Interview: NISHIOKA Tsuneo Sensei (DE)

Einblickreiches Interview mit Nishioka Sensei /Shinto Muso Ryu Jodo über die Bedeutung von Budo aus der sicht einer Koryu
Aufgenommen von  Manuela ZIPS und Univ.Prof. Dr. Werner ZIPS
Übersetzt aus dem Japanischen von Aikio YOKOYAMA und Bernhard WARDEIN (Zeitangaben in min:sec)
Tokyo Bunbukan (文武館) März 2007

English Version

Interview

Foto: Bernahrd Wardein


 

0:00 Zips: Was ist Budo?

Nishioka Sensei:

Unsere Schule wird Shinto Muso Ryu (SMR) genannt. Sie nahm vor ca. 400 Jahren ihren Anfang. Ich würde hier gerne ein großes Honbu Dojo errichten. 

1:00 Zips: Bitte erzählen Sie etwas über die SMR

Nishioka Sensei:

Diese geht auf einen Muso Gonnosuke Katsushiki genannten zurück, welcher unser erster Sensei war. Vor 400 Jahren ging dieser Meister nach Kyushu, und jetzt verbreitet sich die SMR um die ganze Welt. Sie wurde von Meister zu Meister weiter gereicht bis zu Shimizu Sensei, der vor mir da gewesen ist. Er hat die Leute in die Welt ausgesendet. Einer war Pascal Krieger, welcher nach Europa ging.

2:00: Philipp Relnick ging nach Amerika - und auch in Brasilien gibt es jetzt SMR. Hier ist das Zentrum. Es gibt aber folgendes Problemem: Die Kunst muss von Körper zu Körper und nicht von Kopf zu Kopf weiter gegeben werden, wie das die jetzt übliche Methode zu lehren ist.

3:00: Ich kann auch nicht wirklich darüber reden, schon allein, weil ich nur japanisch spreche. Im Ausland kann ich nicht wirklich mit den Leuten sprechen, zB. wie mit Brigitte PRASEK aus Wien.

3:30 Zips: Der Ursprung und der Geist von Budo (Sei Shin)? 

Nishioka Sensei:

Der Geist von Bushido wurde innerhalb der SMR durch Muso Gonnosuke in Form von Kata weiter gegeben. Indem man diese Kata studiert, begreift man den Geist von Bushido.

4:00: Und das ist die schwierigste Erklärung. Darüber habe ich auch schon auf meiner HP geschrieben. (Das habe ich Pascal in eine CD gegeben. - kleine Diskussion um CD. In Französisch gibt es das bereits im Netz, was wunderbar ist.)

5:30: Es gibt viele Kata in der SMR, innerhalb derer aber nur 5 Geheimnisse (Uchikomi) weiter gegeben werden – und keine/r kann sie wirklich verstehen.

6:00: Diese 5 Geheimnisse sind die Natur der SMR und des Budo. Das ist in Japan in allen Ryu-Ha (Schulen) so der Fall. ZB. in der Shin Kage Ryu. Meistens sind es drei bis fünf. Das Schwierige dabei ist, dass man diese nicht versteht. Aber in den Uchikomi ist die Natur der Geheimnisse.

7:00: Aikido ist heutzutage sehr populär, ich bin mir aber nicht sicher, ob überhaupt jemand den Geist von O´Sensei Ueshiba geerbt hat. Ich glaube sogar, man versteht ihn immer schlechter. Daher bin ich dankbar für das Interesse am Jodo und finde es wichtig, SMR zu verbreiten. Nitobe Inazu schrieb sein Buch Bushido meiner Meinung nach zuerst in englisch in der Meiji Zeit. Das würde ich auch gerne tun, ein Buch über Bushido schreiben.

8:00: Der Inhalt sollte sein, dass es eine brutale Sache um Leben und Tod (Satsu-Batsu) ist. Das Wichtigste ist, dass es dabei um einen ernsthaften Kampf geht (Shin Ken Shoubu), bei dem man dem anderen das Leben nehmen will – und dann unversehens stoppt. Das Leben ist einfach zu wichtig, und daher tauscht man die Rollen (Kotai). Aber leider töten die Menschen immer noch.

8:30: Ich würde am liebsten ein Seminar (Jodo) für die Staatspräsidenten der verschiedenen Länder geben, um ihnen das begreiflich zu machen. Das klingt vielleicht, als wäre ich verrückt, ich meine das aber durchaus ernst.

9:00: Nach Meiji sind die Bushi verschwunden, und mit ihnen die Katana, daher wurde es immer schwieriger, die Kunst zu lernen. Ältere Leute, die sie noch können, verschwinden ebenfalls allmählich, und es wird daher immer schwieriger, sie weiterzugeben.

9:22: Budo ist definitv kein Sport. 60-80jährige Leute müssen gesund bleiben und auf sich aufpassen, damit sie es möglichst lange ausüben und weitergeben können. Und deswegen habe ich dieses Dojo gemietet und den Verein Seiryukai gegründet. Es ist ausgezeichnet (sehr nett), dass sogar Spezialisten aus Wien kommen, und sich dafür interessieren. 

10:00: Vielleicht wirkt das alles absurd, aber ich denke, dass es sinnvoll ist und ich bin sehr dankbar, dass ich diese Kunst erlernt habe. Ich bin viel um die Welt gereist, dieses Jahr in  Brasilien passierte mir aber ein gesundheitlicher Zwischenfall, und es ist besser, wenn ich nicht mehr auf Reisen gehe, sondern statt dessen mehr auf meine Gesundheit achte.

11:00: Aber die anderen können natürlich immer noch gerne zu mir kommen. Nicht meinetwegen, sondern wegen der Kunst. So wie die Leute aus Österreich, Frankreich, Skandinavien – alle besuchen sie mich und ich bin sehr dankbar dafür.  

Wenn mich die Leute nicht mehr besuchen, kann ich die Kunst nicht mehr weitergeben.

12:00: Zips: Sie haben gesagt, Japan hat sich sehr verändert, wie hat es sich verändert?

Nishioka Sensei:

Weil sich Japan so stark verändert, sollten sich einige Dinge nicht verändern und auch etwas bleiben. Das wichtigste Sache ist verloren gegangen: der wahre Geist des Bushido. Heute verstehen ihn viele falsch. Ich kann das sehr schwer erklären, am liebsten würde ich das auf deutsch tun, oder auch auf französisch - aber ich muss es auf japanisch darstellen.

13:00: Das gute ist, dass das, was in Japan verloren gegangen ist, in anderen Teilen der Welt wieder gefunden wird. Das wichtigste wurde auf die falsche Weise von Generation zu Generation übertragen und daher missverstanden. Ganz besonders im Budo. So wurde Budo zum Sport. Das hat zwei Gründe: einerseits eine schlechte Erklärung, andererseits ein schlechtes Verständnis der Zuhörenden.

14:00: Es gibt sehr viele gute Bücher über Budo, die sind aber alle nur technisch, philosophische gibt es nur sehr wenige, die sind aber wichtiger. Jede Technik basiert auf einer Philosophie, und jedes Land hat seine eigene Philosophie. Diese gibt letztendlich die Identität. Und jeder sucht seine Identität, und heute ist es schwierig, seine Identität zu finden.

15:00: Im Budo findet man Identität, Budo bringt dem Ausübenden Identität. Am ersten Blick geht es nur um Kampf und streiten (Shin Ken Sho). Das Leben ist aber einmalig und daher zu wichtig, und man braucht die Wiederholung (Kurigaeshi), um zu begreifen. Im Alltag verändert sich alles schnell und ist für mich nicht immer nachvollziehbar. Mit den Kindern meiner Töchter unterhalte ich mich oft, und ich bin dann nicht überzeugend für sie.

16:15: Die heutigen Generationen verstehen das anders. Das Weitergeben ist aber wichtig, und gleich bei jedem Volk – es ist fast wie Religion. Anders als meine Enkeln, haben es sich diese Leute hier im Dojo ausgesucht, sie mussten sich für mich entscheiden. Wegen solcher Entscheidungen existiert der Seiryukai überhaupt. Wäre ich arrogant, würden mich alle verlassen. Daher bleibe ich bei der Kunst und lerne immer.

17:00: Ich bin der Meinung, dass Bushido im heutigen Zeitalter nach einer neuen Erklärung verlangt (17:19). Das Wesen hat sich zwar nicht geändert – aber die Erklärung. (Jetzt könnten wir Bier oder Tee trinken gehen, denn wir sind dankbar, dass Ihr aus Wien gekommen seid.  – 17:39, während Dojo Cho aufdeckt).

18:00: In der SMR ist es so, dass mit dem Prinzip Uchi Tachi und Shi Tachi gelernt wird. Dieses Prinzip ist fast nicht zu erklären, aber eine Kurzfassung ist in Pascals Buch nachzulesen. Heute denkt man, dass Sport besser ist. (Unverständliche Frage). Bushido und Budo sind das gleiche, das führt aber zu einer extremen Sicht. Und daher die neue Erklärung, welche zeitgerechter ist..

19:00: Überall im Dojo finden sich Sprüche an den Wänden, die vom Wesen her etwas über den Geist von Budo aussagen. Sie sind aber schon längst „gestorben“, weil die Bedeutung verloren gegangen ist. Wir müssen sie daher wieder anders ins Leben bringen.

20:04: Ob der Geist stirbt oder lebt, hängt von denen ab, die jetzt leben. Es wird hier gedacht, dass unser Volk das übernehmen sollte. Aber die, die von weit her kommen, sind vielleicht besser bemüht. Das Wesen des Budo liegt nicht im Begriff Budo, sondern im praktischen Leben, und es ist kein Sport. Auch wenn es schon überholt ist, werden wir es doch praktizieren.

21:00: Die Welt verändert sich immer schneller bringt uns immer mehr in Schwierigkeiten, tradieren wird immer schwieriger. Wenn man mit 30 stirbt, hat man noch nichts begriffen, und es ist nicht möglich, etwas weiterzugeben. Dazu ist es schon notwendig, 80 oder 100 Jahre alt zu werden, und daher sollte man sich nicht verletzen. Das ist eben die Aufgabe des Sensei, der den Ken hält (Uchi Tachi) – daher ist es auch wichtig, dass der Uchi Tachi lange lebt (diesen nicht umzubringen 21:23). Das Schwert führt immer der Oya (wörtlich: Eltern, auch Uchi Tachi), und der andere hat den Jo. Das ist im Sport anders, da sind beide gleich. Auch ich habe meine Oya, welche jetzt in der Kamiza sind, hinauf bis zur obersten Gottheit. Und das ist doch herrlich, es ist immer einer höher als man selbst, und man kann ihn durch Klatschen rufen, mir der Bedeutung „komm bitte, und schau, Sensei, das, so wie  Du uns gezeigt hast, ist das wohl gut so?“  

22:00: Daher kommt die Bescheidenheit. Aber im Budo sind die Praktizierenden oft arrogant und spielen sich auf ("ore ga... ": ICH!-im egoistischen Sinn). Das ist aber falsch. Über der Menschheit gibt es einen. Die japanische Gottheit sind die Oya in der Kamiza. Der japanische Gott ist Oya. Daher beginnt das Training mit einer Begrüßung (Ai Sazu): „Sensei kore kara keiko shimasu“ – Sensei, so weit so gut, wir trainieren jetzt, schau bitte zu. Dies ist ein Ho no Embu (Ho no = Votivgabe, Embu = Vorführung von Bu). Das Gefühl, dass man dankbar ist, das oben jemand zusieht.

23:00: So möchte ich diese Fragen beantworten, ….

 

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